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2006 | Shetlandinseln

Prospektion einer wikingerzeitlichen Fischreuse in der Tidenzone

Im August 2006 führte ein NAS-Scotland Team unter der Leitung ihres neuen Vorsitzenden Peter Pritchard einen unterwasserarchäologischen Survey auf den Shetland Inseln (altnorwegisch: Hjaltland) durch. Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von Clive Richardson, einem Einheimischen dieser Insel. Ausgestattet mit Enthusiasmus für eine spannende Reise in die Vergangenheit dieser legendären Insel und – natürlich – mit Tauchgerät reiste das Team bestehend aus Jessica Berry, Jill Hooper, Frank Lappe, Robert Mowat und mir zu den Inseln inmitten der tosenden Fluten des Nordatlantiks. Unser Ziel waren die Überreste einer Fischreuse in Uyeasound, einer geschützten Bucht auf Unst. Sie besteht aus einer sichelförmigen Struktur aus Geröll mit einem Einlass in der Mitte, die einen großen ovalförmigen Teil des Strandes einschließt. Es war vermutet worden, dass es sich hierbei um ein altnorwegisches Bauwerk handeln könnte, weil es in einen reichen lokalen Kontext fällt. Der Reichtum des altnorwegischen Kulturerbes auf den Shetland Inseln manifestiert sich an zahlreichen und gut erhaltenen Stätten wie Jarlshof, einem überwältigenden Fundplatzes eines freigelegten norwegischen Weilers, der an einem seit der Bronzezeit besiedelten Ort liegt. Das altnorwegische Kulturerbe ist auch sonst allgegenwärtig: In Ortsnamen wie Thingvellir (altnorwegisch für Parlamentsstätte) und in Saga und Folklore. Auf Unst selbst wurden über 30 Langhäuser ausgegraben. Während ab dem 8. Jahrhundert viele Landstriche der Britischen Inseln von Horden plündernder Wikinger heimgesucht wurden, fanden sich erstmals auf Unst im 9. Jahrhundert norwegische Siedler ein, die sich hier langfristig niederließen. So ist diese Insel von beachtlicher archäologischer Bedeutung und wird derzeit im Rahmen der „Viking Unst“ Initiative des Shetland Amenity Trust in Kooperation mit der Universität von Kopenhagen untersucht.

Die Aufgabe des NAS Teams am nördlichsten Außenposten der Britischen Inseln

Unser NAS Projekt im Uyeasound ermöglichte uns, zu der vom Trust begonnenen Bestandsaufnahme der Kulturdenkmäler beizutragen. Der Anfang allerdings war eher unspektakulär, denn das Geröll der Fischreuse musste zunächst vom Seetang befreit werden.

Mit Seetang überdeckte Steinbrocken der halbkreisförmigen Reuse (© Jessica Berry)

In nur drei Tagen wurde ein großer Teil der Struktur freigelegt und – falls es jemals einen Zweifel gab – spätestens dann wurde deutlich, dass es sich hier nicht um eine zufällige Ansammlung von Steinen handelte, sondern die dicht an dicht gepackten Steinblöcke nur von Menschenhand hierher gelangt sein konnten. Während meine Gefährten bereits angefangen hatten den Seetang zu entfernen, steckte ich mit meinem Auto in den Dünen Jütlands in Dänemark fest und erst nach einem halben Tag vieler Flüche und harter Arbeit gelang es mir, mich zu befreien. Ich war auf das Sammeln von Treibholz am Strand angewiesen, um mir eine Fahrbahn zu improvisieren. Ironischerweise war das Sammeln von Treibholz auch eine Tätigkeit von frühen Shetländern, denn ihnen fehlte es an indigen Baumbestand. Zum Glück verpasste ich die Fähre nicht und schloss mich dem Team zwei Tage später an. Bald starteten wir mit einem Survey des gesamten Areals und zogen Vorteile aus der Topographie: Bei Hochwasser wurden ausgewählte Vermessungen und Skizzen unter Wasser gemacht, die wir bei Niedrigwasser ergänzten, überprüften und schließlich einen EDM (=elektronische Distanzmessungen) Survey durchführten. Der durchschnittliche Tidenhub ist mit 1,5m recht bescheiden, aber er war etwas größer, da wir in einer Springzeit waren. Bob wurde die zweifelhafte Ehre zuteil, in das Wasser zu waten und das Prisma (am äußeren Rand der Struktur) zu halten, das die EDM Signale zum Tachymeter reflektiert. So wurde die Entfernung und der Vertikalwinkel trigonometrisch vom Gerät errechnet. Eine sehr effiziente Technik, aber Peter vertraute zusätzlich lieber auf eine schriftliche Notiz der gemessenen Daten: Aus bitterer Erfahrung hatte er gelernt, keinen Computergeräten zu trauen. Wir schlossen die Messungen der Ausdehnung der Struktur ab. Leider aber gelang es uns nicht, organische Reste oder Artefakte zu finden, die in Bezug zu diesem Bauwerk stehen und ein Hinweis auf das Alter geben könnten. Aber dem fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls (wahrscheinlich durch die Wiederverwertung der Steine) und dem Fehlen von ethnographischen Aufzeichnungen der jüngsten Vergangenheit zufolge, könnte ein eher frühes Baudatum zutreffen. Daher ist es plausibel, die Fischreuse vorläufig in den allgemeinen Kontext der ‚Viking Unst‘ Initiative des Shetland Amenity Trust einzubeziehen.

At low tide: Bob holds the prism at the outer extend of the fish-trap (© Daniel Zwick)
The main part of the survey is carried out with a total station (© Daniel Zwick).

Der selbe Ort ca. 1000 Jahre zuvor

Eines frühen Morgens wurde ein Hjaltländer mit seinem ältesten Sohn gesehen, wie er bei Ebbe in das Fischreusenbecken watete. In dessen Mitte befand sich ein schmaler Einlass, der durch ein Tor aus Flechtwerk beim Gezeitenwechsel blockiert worden war. Zurück blieben einige Meerestiere, die in diesem seichten künstlichen Bassin in die Falle gegangen waren, als das Wasser ablief. Mit recht viel Geschick schöpfte er und sein Sohn die eingeschlossenen Fische ab; sie fingen Flundern, Steinbutt, Schollen und auch einen Lachs. Dies war erst der Beginn eines arbeitsreichen Tages und sie sehnten sich bereits danach, abends im Haus um den Herd Obdach zu finden. Zwei Mitglieder der Sippe hatten schon begonnen, das Boot zu beladen. Meistens wurde es für die Fischerei verwendet, denn der Fang von der Reuse reichte zum Unterhalt nicht aus und ergänzte lediglich die Vorräte. Heute allerdings wollten sie ihren Überschuss zum Tausch feilbieten und eine Abgabe an ihren Häuptling entrichten. Obgleich ihre Vorfahren ihre Abgaben mit der gebotenen Ehrerbietung seit dem Anbeginn der Zeit an ihre Fürsten entrichtet hatten, taten diese Hjaltländer es nun mit großen Widerwillen: Es war nur einige Monde her, seit die Bewohner der nördlichsten Insel auf eine Flotte dänischer Wikinger stieß, denen sie den Tagesfang überlassen mussten. Sie kamen in zweierlei Hinsicht leicht davon, wie sie alle wussten, denn niemand verlor sein Leben an besagtem Tage. Seit die Herren dieser Insel – Jarl Thorfin und sein Bruder Jarl Bruse – sich dem norwegischen König Olaf Haraldsson unterworfen und Lehenstreue geschworen hatten, vernachlässigten sie die Verteidigung der Inseln, fuhren aber dennoch mit der Besteuerung fort. Der Skalde Otter Svarte verherrlichte die derzeitigen Umstände in einem Gedicht über König Olaf:

A scenario in the first quarter of the 11th century in Uyeasound. The photo (background) was taken by Clive on 11.08.06 at 5:30am at near extreme low tide (ca. 0.12m above spring low water tide). The reconstruction is partly based on the kelp zone, which indicates the rough extend of the stone structure (Reconstruction: Daniel Zwick / Photo: Clive Richardson).

From Hjaltland, far off in the cold North Sea / Come chiefs who desire to be subject to thee: / No king so well known for his will, and his might / To defend his own people from scaith or unright / These isles of the West midst the ocean’s wild roar / Scarcely heard the voice of their sovereign before / Our bravest of sovereigns before could scarce bring / These islesmen so proud to acknowledge their king

Heimskringla, Saga of Olaf Haraldson, Ch.108, by Snorri Sturlson (ca.1179-1241), translated by Samuel Laing, London 1844

Sicher vergaß Otter zu erwähnen, dass Thorfin in Wirklichkeit keinerlei Absicht gehabt hatte, des Königs Untertan zu werden. Vielmehr wurde ihm in Aussicht gestellt, Olafs Hof nicht lebend zu verlassen wenn er sich verweigert hätte, wohingegen seinem Bruder Bruse zwei Drittel der Orkneys und Hjaltland als Lehen für seine bereitwillige Untertänigkeit zugesprochen wurde. Daher tat Thorfin, mit dem kleineren Lehen versehen, aber verständiger in der Kriegskunst als sein Bruder, sich schwer, die Verteidigung der beider Brüder Lehen zu organisieren. Dies allerdings sollte sich ein paar Jahre später ändern als Bruse sein Anrecht auf ein Drittel des Lehens zugunsten von Thorfin aufgab und letzterer im Gegenzug die Verpflichtung einging, die Inseln zu verteidigen. Pah….Politik! Diese Angelegenheiten waren von geringem Belang für den anfangs erwähnten Hjaltländer, der wenig später gesehen wurde, wie er die Festmacher seines Fahrzeugs loswarf und schnell noch zu seinen Söhnen hinüberrief, dass sie nicht wieder vergessen sollten das Reusentor zu öffnen und Netzsenker an das neue Fischernetz zu knoten.

Der archäologische Kontext

Die Fischreuse in Uyeasound ist bislang die erste, die auf den Shetland Inseln untersucht wurde. Die Gesamtanzahl von registrierten Fischreusen in Schottland (zu dem ja die Shetland Inseln gehören) beläuft sich momentan auf 137, aber dies ist sicherlich erst die Spitze des Eisbergs. Wenn wir den Fokus auf Wales ausdehnen, gibt es ein paar Parallelen zu anderen tidenabhängigen aus Stein gebauten Fischreusen in Aberarth oder der Menai Strait zwischen Anglesy und Gwynnedd, wo sie als ‚goredi‘ (in walisisch) oder ‚goradau‘ bekannt sind. Der einzige Unterschied zu den walisischen Fischreusen ist, dass diese mehr den Elementen ausgesetzt sind, denn die erste liegt in der Irischen See, während die Reusen in der Menai Strait starken Gezeitenströmungen ausgesetzt sind, die auf jeden Fall eine aus Stein errichtete Struktur erfordern.

Die Tatsache, dass die geschützt im Uyeasound gelegende Fischreuse ebenso aus Stein gebaut wurde, kann sicher nicht so sehr mit einer kulturellen Affinität in Verbindung gebracht werden, sondern – und es liegt ja auf der Hand – wegen dem Fehlen eines indigen Baumbestandes. Deshalb waren die Inselbewohner auf Stein als hauptsächliches Baumaterial angewiesen. Dies spiegelt sich auch in den zahlreichen altnorwegischen Langhäusern wider, die traditionell aus Holz gezimmert werden, aber hier auf den Shetland Inseln sind sie aus Stein. Torf hingegen wurde als Heizmaterial verwendet – wie heute noch – und wahrscheinlich um die Häuser zu decken. Solch wertvolles Material wie Holz hingegen wurde wohl nur für Werkzeuge und Waffen, als Bauteil in Gebäuden und zur Reparatur von Schiffen verwendet. In Harold’s Wick liegt solch ein Schiff, dass eine Reparatur gebrauchen könnte. Es ist das letzte skandinavische Langschiff, dass – etwas anachronistisch – erst im Jahr 2000 in Unst eintraf. Es wurde von einer schwedisch-norwegischen Besatzung aufgegeben, die vergeblich versucht hatte, Sumburgh Head in einem schweren Unwetter zu umsegeln. Eigentlich war versucht worden, in Leif Erikssons Kielwasser nach Amerika zu segeln, doch Harold’s Wick auf Unst wurde der schicksalhafte Bestimmungsort. Die Rede ist vom Schiff SKIDBLADNER, einer Rekonstruktion im Maßstab von 1:3 des Gokstad Langschiffes aus dem 9. Jahrhundert, die schließlich vom Shetland Amenity Trust gekauft wurde. Es war das größte Langschiff, bevor HAVHINGSTEN (die Skuldelev 2 Rekonstruktion) in Roskilde 2004 zu Wasser gelassen wurde.

Skidbladner in Harold’s Wick, Unst, Shetlandinseln (© Daniel Zwick)

In dieser verlassenen Landschaft erscheint sie nun wie ein bizarrer Überrest der Vergangenheit, unsterblich im kollektiven Gedächtnis der Inselvorfahren…ein bisschen verloren und unwirklich wie so viele Dinge auf diesen Inseln. Dies spiegelt sich auch in der lebenden Tradition des nordischen Bootsbaus wider, so wie die klinkergebauten Fischerboote, die unter den Namen ‚whillies‘ oder ‚eela boats‘, ‚yoals‘ und ’sixareens‘ bekannt sind, von denen einige Exemplare im Unst Boat Haven ausgestellt sind. Aber im Grunde trifft man sie noch in Schuppen, auf Slips und an Anlegestellen auf den ganzen Inseln an.

Danksagung

Dies war ein denkwürdiges Projekt mit einem tollen Team! Während Bob mit seinem trockenen Humor den nassen Wetterbedingungen zu trotzen schien, ist besonders Jill für die Verpflegung unseres Teams zu danken. Besonderer Dank aber kommt unserem Projektleiter Peter zu, der uns organisierte und uns auf eine spannende Expedition in die Vergangenheit dieser Fischergemeinde führte.


Dieser Text basiert auf einem hier veröffentlichten Manuskript:

Zwick 2007: D. Zwick: A Nordic Odyssey to Hjaltland: On the track of Norse fishermen?. In: The Newsletter of the Nautical Archaeology Society 2007.2, 6-8.


Ein paar weitere Eindrücke von Shetland: