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6.3.2022 | Süderoogsand

Vorbericht zur Wrackuntersuchung auf dem Süderoogsand

Infolge des Orkans Ende Februar 2022 sind auf dem Süderoogsand zwei weitere Holzwracks freigespült worden, die von dem zuständigen Ranger des Nationalparks Wattenmeer Holger Spreer-Wree an das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein (ALSH) gemeldet wurden. Die Wrackpositionen waren bereits bekannt, allerdings war von den Wracks kaum etwas zu sehen, da zunächst nur wenige Spantköpfe aus dem Sediment ragten. Nach dem zuerst untersuchten Wrack im Frühjahr 2020 (Süderoogsand 1 Wrack, vergl. Vorbericht), liegen nun insgesamt Fundmeldungen zu drei noch unidentifizierten Holzwracks vor.

Da erfahrungsgemäß Wrackfundstellen im Wattenmeer durch Erosion, Tidenströmungen und Stürmen starken Veränderungen ausgesetzt sind, ist eine zeitnahe Dokumentation von großer Bedeutung. Binnen weniger Wochen oder Monaten können Wrackfundstellen wieder vom Sediment bedeckt werden. Das weitaus größere Problem allerdings ist der stetige Verfallsprozess, da sich Teile des Wracks aus dem Verband lösen und durch die Tidenströmung fortgedriftet werden.

Am ersten März-Wochenende lagen optimale Wind- und Wetterverhältnisse vor, um die Wrackfundstellen anzulaufen. Die Wracks wurden von mir im Auftrag des ALSH untersucht, logistisch und organisatorisch unterstützt von Holger, dessen Ortskenntnis von unschätzbarem Wert war. Begleitet wurde die Fahrt von dem Fotografen Martin Hain, der auch Bilder aus der Luft machen konnte. Da es sich beim Süderoogsand um die Schutzzone 1 des Nationalparks Wattenmeer handelt und hier seltene Seevögel anzutreffen sind, konnte die Drohnenüberfliegung nur mit einer Sondergenehmigung stattfinden.

Das Süderoogsand 2 Wrack im Morgenlicht. Im Hintergrund ist das Wrack der ULPIANO zu erkennen (© Martin Hain)

Um die Tidezeiten optimal auszunutzen, machte sich das Team am 6.3. gegen 4 Uhr nachts auf den Weg und lief mit Holgers Arbeitsboot das südwestliche Ufer des Süderoogsands an, vor dem eine Stunde später der Anker geworfen wurde. Mit dem Beiboot setzten wir uns ab und fuhren in fast absoluter Dunkelheit in einen Priel ein. Die erste Station war ein noch unbekanntes Holzwrack (Süderoogsand 2 Wrack) in unmittelbarer Nähe zum Wrack der spanischen Bark ULPIANO von 1870. Mit ablaufendem Wasser kam im Morgenlicht das imposante Wrack frei, das über 25 m lang war.  Vom Wrack war noch der Kiel, viele Spanten bzw. Bodenwrangen und Sitzer, Teile der Beplankung und der Wegerung vorhanden. Sowohl der Vorsteven wie auch der Achtersteven hatten sich aus dem Verband gelöst und lagen neben dem Wrack. Auch hatte sich augenscheinlich von der Backbordseite ein Teil der Bordwand gelöst, die ca. 10 m weiter südlich verdriftet war.

Einige wichtige Details konnten beobachtet werden, wie z.B. die Sponung, in welche die Planken fast rechtwinklig in den Steven einliefen; ein Indiz für ein rundgattiges Fahrzeug. Rundgatts traten in Kombination mit plattbödigen Seeschiffen wie Smakken, Kuffen und Galioten auf und waren typisch für das Wattenmeer, da sie sich bei Ebbe leicht trockenfallen lassen konnten.

Detailbeobachtungen am Süderoogsand 2 Wrack (Fotos: D. Zwick, Zeichnung: E.W. Petrejus)

Ob es sich um ein lokales Schiff handelte, kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht bestimmt werden. Einer groben Schätzung zufolge datiert das Wrack in das 18. oder 19. Jahrhundert. Ein genauerer Zeitrahmen kann durch die dendrochronologische Datierung erfolgen, zu welchem Zwecke einige Holzproben entnommen wurden. Im Vergleich zu den archivalisch dokumentierten Schiffstrandungen könnte sodurch die Identität des Schiffes und das Schicksal seiner Besatzung aufgedeckt werden.

Auch das Wrack der spanischen Bark ULPIANO, die Heiligabend 1870 nur rund hundert Meter weiter südlich strandete, konnte begutachtet werden. Seit der Entdeckung Ende 2012 war das Wrack einem stetigen Verfallsprozess ausgesetzt. Vor- und Achterschiff wurden als zwei voneinander getrennte Wrackteile in der Auskolkung angetroffen.

Das Wrack der spanischen Bark ULPIANO von 1870 (© Dr. Daniel Zwick)

Das zweite freigespülte Holzwrack (Süderoogsand 3 Wrack) konnte gerade noch im letzten Moment bei auflaufend Wasser besichtigt werden. Genaugenommen handelt es sich hierbei um mindestens zwei Wrackteile, die noch nicht datiert und identifiziert wurden. Hier finden sich sowohl Brandspuren wie auch Abwrackspuren.

Das Süderoogsand 3 Wrack mit Brandspuren, welches gerade überflutet wird (© Dr. Daniel Zwick)

Es ist geplant die wissenschaftliche Auswertung dieser Untersuchung im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Titel „Frühneuzeitliche Strandungen und Schiffwracks im nordeuropäischen Wattenmeer mit Schwerpunkt auf Nordfriesland“  durchzuführen, welches ich im Auftrag des ALSH in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität Kiel und dem Forschungs- und Technologiezentrum Büsum in wenigen Tagen beantragen werde. Das Einwerben von Drittmitteln zur Erforschung dieser Relikte des maritimen Kulturerbes ist von elementarer Bedeutung, da vom Landesamt durchgeführte archäologische Untersuchungen nur durch das Verursacherprinzip finanziert werden können. Da Wracks in der Tidenzone durch die Naturgewalten und nicht den Menschen freigelegt werden, können derzeit Wracks nur durch viel Improvisationsgeschick und ehrenamtlichen Einsatz von Akteuren der staatlichen Denkmalpflege dokumentiert werden.

Übersichtskarte: Die bislang bekannten neuzeitlichen Wracks bzw. Wrackteile an Schleswig-Holsteins Nordseeküste konzentrieren sich an den Außensänden und exponierten Küstenabschnitten des Nordfriesischen Wattenmeers. Die hier gezeigten Punkte stellen lediglich die bekannten Fundstellen dar, die im besten Fall archäologisch untersucht und publiziert wurden und im schlechtesten Fall lediglich als lakonische Notiz ihren Weg in die ‚Archäologische Landesaufnahme‘ gefunden haben. Die Dunkelziffer der Wrackteile, die entweder unentdeckt blieben oder nicht gemeldet wurden, dürfte weitaus größer sein. Die ersten archäologisch untersuchten Wracks aus dem Bereich des Wattenmeers stammen beide aus Deichbruchstellen, und zwar ein 1969 entdecktes Wrack am Hedwigenkoog und ein 1994 entdecktes Wrack bei Uelvesbüll (letzteres Wrack ist heute im Nordfriesischen Schifffahrtsmuseum in Husum ausgestellt). Eines der beiden neuentdeckten Wracks auf Süderoogsand wurde bereits 2020 von Holger Spreer-Wree gemeldet, von dem anfangs nur die Spanten aus dem Sediment ragten (hier als Süderoogsand-Wrack 2 dargestellt) (© Dr. Daniel Zwick)

weiterführende Literatur:

Zwick 2021: D. Zwick, Archäologie in der Tidenzone – Die neuen Wrackfunde aus dem Nordfriesischen Wattenmeer. In: F. Huber (Hrsg.), Zeitreisen unter Wasser. Spektakuläre Entdeckungen zwischen Ostsee und Bodensee. Darmstadt 2021, S. 130-143.

Zwick 2021: D. Zwick, A late 17th-century ‘Double Dutch’ construction in the North Frisian Wadden Sea: The case of the Hörnum Odde wreck on the Island of Sylt, Germany. In G. Boetto, P. Pomey, P. Poveda (Hrsg.), Open Sea … Closed Sea. Local and inter-regional traditions in shipbuilding. Proceedings of the 15th International Symposium on Boat & Ship Archaeology, Marseille 22-27 October 2018. Paris, S. 203-209.

Hier finden Sie eine Datenbank der niederländischen Kulturerbebehörde, auf der auch schleswig-holsteinische Wrackstellen mit weiteren Infos und Literaturangaben eingestellt sind: https://mass.cultureelerfgoed.nl/